Ohne die Bahnen wäre der Verkehr auf den Autobahnen und in den Innenstädten schon längst zusammengebrochen. Die Schiene ist eine unverzichtbare Säule im Personen- und im Güterverkehr. Sie federt die wachsenden Transportbedürfnisse ab und trägt zu einer höheren Lebensqualität bei. Gleichzeitig ist die Bahn nicht nur sicher und zuverlässig, sondern auch das mit Abstand umweltfreundlichste Verkehrsmittel. Doch wenn es um Themen und Trends im Verkehr geht und unweigerlich Schlagworte wie Elektromobilität, Fahrerassistenzsysteme oder autonomes Fahren fallen, steht der Straßenverkehr im Mittelpunkt. Für viele Leute ist Mobilität gleichbedeutend mit Autos und Lkws. Dabei ist der Schienenverkehr dem Straßenverkehr gerade bei den Zukunftsthemen weit voraus. So ist auf der Schiene nicht nur die E-Mobilität längst Standard. Auch vollautomatisch fahrende Bahnen sind schon seit Jahrzehnten unterwegs. Doch wie funktioniert autonomes Fahren auf der Schiene eigentlich? In einem zweiteiligen Überblick beantworten wir die wichtigsten Fragen!

Was genau bedeutet autonomes Fahren auf der Schiene überhaupt?

Die weltweit erste fahrerlose U-Bahn nahm 1983 im nordfranzösischen Lille ihren Betrieb auf. Inzwischen sind vollautomatisierte U- und S-Bahnen weit verbreitet. Allein in Europa sind solche Bahn-Systeme in 15 Großstädten vorhanden und befördern jedes Jahr rund eine Milliarde Menschen. In Deutschland gibt es die fahrerlose Bahn in Nürnberg, in Hamburg ist sie geplant. Während auf europäischen Straßen noch keine Autos ohne Fahrer auskommen, findet das autonome Fahren im Schienenverkehr bereits seit Jahren im Regelbetrieb statt. Neue S- und U-Bahn-Linien werden sogar von Anfang an auf selbstfahrende Bahnen ausgerichtet. Das autonome Fahren auf der Schiene beinhaltet aber nicht nur vollautomatisierte und selbstfahrende Bahnen. Sie bilden lediglich die höchste Stufe des Automatisierungsgrades. Je nachdem, welche Abläufe automatisch erfolgen und welche vom Fahrer oder Zugbegleiter ausgeführt werden, wird zwischen verschiedenen Automatisierungsgraden unterschieden.

Insgesamt gibt es die Grade, die kurz GoA für Grade of Automation genannt werden, in vier Abstufungen:

Im Bereich des autonomen Fahrens sind außerdem Fahrerassistenzsysteme im Einsatz. Sie tragen unter anderem dazu bei, dass die Energieeffizienz optimiert und die Pünktlichkeit verbessert werden. Führt der Lokführer hingegen alle Abläufe selbst und ohne Unterstützung von digitalen Systemen durch, wird dies als Automatisierungsgrad Null (GoA 0) bezeichnet.

Welche Voraussetzungen müssen für autonomes Fahren auf der Schiene erfüllt sein?

Im vollautomatischen Betrieb übernimmt die Technik alle Abläufe, die andernfalls der Lokführer bei einer Fahrt durchführt. Doch damit das möglich ist, brauchen die Strecken, die Bahnanlagen und die Fahrzeuge entsprechende Technikkomponenten. Dabei trägt die Digitalisierung dazu bei, dass zunehmend leistungsfähige Systeme entstehen und eingesetzt werden können.

Signaltechnik

Eine selbstfahrende Bahn braucht sehr viele Daten. Dabei spielen vor allem Informationen über die Strecken, die sie befährt, über ihre Position und über die Positionen der anderen Bahnen im Netz eine entscheidende Rolle. Der Abstand zum nächsten Zug ist zum Beispiel eine grundlegende Angabe beim autonomen Fahren. Solche Daten sammeln Signale und Sensoren, die entlang der Gleise verbaut sind. Auf diese Weise kann die Steuerung der Züge auf den Strecken sichergestellt werden. Die Gleisanlagen selbst müssen zum einen gut beleuchtet sein. Zum anderen brauchen sie einen sicheren Seitengang, der gewährleistet, dass Fahrgäste die Bahn im Fall einer Störung gefahrlos verlassen können. Gleichzeitig darf der Fluchtweg zum nächsten Notausgang nicht länger sein als 400 Meter.

Fahrzeugtechnik

Eine zentrale Recheneinheit, die die Steuerung des Verkehrs auf dem Streckennetz übernimmt, muss durch spezielle Systeme in den Fahrzeugen selbst ergänzt werden. Bei diesen Systemen handelt es sich hauptsächlich um die automatische Zugsicherung und die automatische Zugsteuerung. Die automatische Zugsicherung, kurz ATP, errechnet und überwacht die Abstände zwischen den Zügen auf der Strecke und deren Geschwindigkeiten. Die automatische Zugsteuerung, kurz ATO, ist für das autonome Fahren als solches zuständig. Weil die fahrerlosen Bahnen die ganz Zeit über untereinander Daten austauschen und zugleich mit der Leitstelle kommunizieren, wird das System auch Communication Based Train Control genannt.

Bahnanlagen

Im Betrieb kommen selbstfahrende Bahnen ohne Personal aus. Allerdings können gefährliche Situationen entstehen, wenn die Fahrgäste ein- und aussteigen. Vor allem beim Schließen der Türen müssen Kontrollsysteme greifen, die gewährleisten, dass unvorsichtige Fahrgäste nicht verletzt werden. Für die Sicherung von Bahnsteigen können Video- oder Radarüberwachungen eingesetzt werden. Eine andere Möglichkeit sind Bahnsteigtüren, die sich schließen, bevor der Zug abfährt.

Welche Vorteile bieten fahrerlose Bahnen?

Gegenüber herkömmlichen S- und U-Bahnen haben vollautomatische Systeme einige Vorteile. So sind sind sie flexibler, pünktlicher, fallen seltener aus und sparen Energie.

Flexibilität

Vollautomatische Bahnsysteme können wesentlich schneller auf steigende oder sinkende Fahrgastzahlen reagieren. Findet zum Beispiel eine größere Veranstaltung statt, ist es problemlos möglich, zusätzliche Bahnen einzusetzen, ohne dass der reguläre Personalplan umgeworfen werden muss. Doch auch die klassischen Stoßzeiten im Alltag lassen sich mit selbstfahrenden Bahnen besser abfangen.

Kapazität

Bahnen, die autonom unterwegs sind, tauschen ihre Daten ständig untereinander aus. Weil dadurch statische Sicherheitsabstände verkürzt werden können, wird es möglich, die Bahnen enger zu takten und das Netz so besser auszulasten. Im Ergebnis können mehr Fahrgäste transportiert werden, die zudem schneller an ihr Ziel kommen. Dabei führen kürzere Abstände aber nicht zu einem höheren Risiko. Denn selbstfahrende Bahnen berechnen stets in Echtzeit, welchen Bremsweg sie benötigen.

Pünktlichkeit

Selbstfahrende Bahnen sind einerseits zentral gesteuert und überwacht. Andererseits werden die Beschleunigungs- und Fahrtkurven berechnet. Dadurch kann sehr präzise ermittelt werden, wann Bahnen ankommen und abfahren. Gleichzeitig verbessert sich auf diese Weise ihre Pünktlichkeit. Bereits jetzt verfügen Bahnhöfe mit autonomen Bahnsystemen über elektronische Anzeigen, die auf die Sekunde genau herunter zählen, wann die jeweilige Bahn einfährt.

Verfügbarkeit

Autonome Bahnen haben nicht nur ein sehr konstantes Brems- und Beschleunigungsverhalten, sondern sammeln für den Fahrbetrieb auch kontinuierlich Daten. Weil diese Daten den eigenen Zustand ebenfalls erfassen, können Verschleiß und Defekte vermindert werden. Wartungssensoren erkennen Fehler bereits frühzeitig, so dass schneller reagiert werden kann. Dadurch wiederum verkürzen sich die Wartungszeiten und das Risiko von Ausfällen sinkt. Gleichzeitig können Kosten gespart werden.

Energieeffizienz

Selbstfahrende Systeme nutzen verschiedene Daten, um die optimale Beschleunigung für einen Zug zu berechnen. Dazu gehören Infos über die Strecke wie Kurven, Steigungen oder Geschwindigkeitsbegrenzungen. Aber Sensoren erfassen zum Beispiel auch, wie viele Fahrgäste im Zug sind und welches Gewicht dadurch entsteht. Zusammen mit der Rückgewinnung von Bremsenergie sind autonome Bahnen dadurch in der Lage, bis zu 30 Prozent Energie einzusparen.

Wie werden selbstfahrende Systeme bisher umgesetzt?

Bislang kommen fahrerlose Bahnen überwiegend in vollautomatisierten S- und U-Bahn-Systemen zum Einsatz. Denn diese Systeme bieten optimale Bedingungen für autonomes Fahren auf der Schiene:

Mitunter gibt es Bedenken, ob eine fahrerlose Bahn genauso sicher unterwegs ist wie ein klassischer Zug mit Lokführer. Solche Sorgen sind aber unbegründet. Kommt es zu einer Störung, macht eine autonome Bahn nämlich das, was auch ein Lokführer einleitet: Der Zug wird gestoppt. Im Stillstand können dann die Maßnahmen ergriffen werden, die erforderlich sind.

Was wird künftig aus den Lokführern?

Auch in Zukunft wird der größte Teil der Transporte von Fahrgästen und Gütern auf der Schiene mit Triebfahrzeugführern erfolgen. Autonome Systeme ersetzen die Fahrer nicht. Stattdessen schaffen selbstfahrende Bahnen zusätzliche Kapazitäten und weitere Angebote. Den Eisenbahnverkehrsunternehmen fehlen schon jetzt etliche Lokführer und die Nachfrage nach diesem anspruchsvollen Beruf sinkt stetig. Andererseits steigt der Bedarf an Verkehrsdienstleistungen sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr konstant. Mit dem Ziel vor Augen, mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen, können vollautomatische Bahnsysteme einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das steigende Verkehrsaufkommen zu stemmen. Außerdem eröffnen sich durch autonomes Fahren auf der Schiene Möglichkeiten für Angebote, die derzeit hohe Personalkosten verursachen und zu unattraktiven Arbeitszeiten führen. Dazu zählt zum Beispiel ein durchgehender Bahnbetrieb in der Nacht und an Feiertagen. Im Güterverkehr wiederum könnten selbstfahrende Loks Rangierfahrten übernehmen. In Australien sind schon seit vielen Jahren schwere Güterzüge unterwegs, die in einem gemischten Netz ohne Lokführer fahren. In Deutschland wird es aber noch lange dauern, bis Güterbahnen vollautomatisch rangieren oder fahren. Auch in Hochgeschwindigkeitszügen werden langfristig Lokführer an Bord sein. Denn selbst ein autonomes System kommt nicht ohne menschliche Kontrolle aus. Und bei teilautomatischen Systemen muss ohnehin immer Personal an Bord sein. Gleichzeitig können so aber neue Berufsbilder entstehen.

Was kann die Schiene in Sachen autonomes Fahren von der Straße lernen?

Im Wettbewerb mit der Straße werden der Schiene zweifelsohne Fahrerassistenzsysteme zugutekommen. Genauso wie selbstfahrende Bahnen sorgen auch Fahrerassistenzsysteme für höhere Streckenkapazitäten und Energieeinsparungen. Auf Basis von Streckenführung, Zusammensetzung des Zuges und Fahrplan berechnen die elektronischen Einrichtungen eine Fahrweise, die den Verbrauch optimiert. Dieses Fahrprofil sieht der Lokführer als Anzeige und wenn er der Empfehlung folgt, kann er bis zu 15 Prozent Energie einsparen. Die Technik für ein automatisiertes und vernetztes Fahren auf der Schiene ist vorhanden. Und in der Praxis ist die Schiene dem autonomen Fahren auf der Straße weit voraus. Trotzdem kann die Schiene viel von der Autoindustrie lernen. Dazu gehört in erster Linie die Vermarktung. Die Eisenbahnbranche ist gut beraten, sowohl ihre Erfolge als auch ihre Bedürfnisse deutlicher zu kommunizieren. Denn nur so schafft sie die Grundlage, um einerseits ihr etwas angestaubtes Image abzulegen und andererseits die Förderung einzusammeln, die sie benötigt.